Offener Brief zum Thema Zukunftsinvestitionen

Offener Brief an die Präsidentin des Deutschen Bundestags:

Die Schuldenbremse verhindert Zukunftsinvestitionen –
Wir fordern einen Bürgerrat zum Thema Zukunftsfinanzierung!

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

unser Land steht vor sehr großen Herausforderungen. Die Folgen von Klimawandel, Energiekrise, geopolitischen Krisen und Ungleichheit erfordern entschlossenes Handeln und bedeutende Investitionen. Zudem befindet sich Deutschland am Rande einer Rezession. Nicht wenige Bürger:innen können ihren Lebensunterhalt nicht mehr angemessen bestreiten. Der Wirtschaft fehlen Impulse, um in eine nachhaltige und regenerative Zukunft zu investieren.

Investitionen in Zukunftsthemen scheitern daran, dass vermeintlich das Geld fehlt. Ein ausgeglichener Haushalt scheint derzeit vorrangiges Ziel zu sein. Im Haushaltsentwurf für das kommende Jahr werden wichtige Sozialausgaben etwa für Familien, Bildung und Gesundheit dem Festhalten an der Schuldenbremse in ihrer aktuellen Ausprägung geopfert. Dringend benötigte Investitionen für die Erhaltung der öffentlichen Infrastruktur, eine hinreichende Kindergrundsicherung sowie Zukunftsinvestitionen für die sozial-ökologische Wende werden nicht getätigt.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.11.2023, mit dem die Karlsruher Richter die Umgehung der Schuldenbremse durch die Regierung für verfassungswidrig erklärt haben, hat ein riesiges Loch in den Haushalt gerissen, dem viele soziale und ökologische Unterstützungsleistungen zum Opfer gefallen sind.

Der Staat beraubt sich durch die Schuldenbremse faktisch der eigenen Gestaltungsmacht und verliert zusehends das Vertrauen der Menschen. Die schwarze Null und die Schuldenbremse stehen im Zentrum der politischen Entscheidungen wie heilige Kühe. Und das, obwohl diese Sparpolitik die Mehrheit aller Bürger:innen hart treffen wird – und etliche Landesregierungen, Gewerkschaften, Initiativen der Zivilgesellschaft und Teile der Koalition deutliche Kritik äußern.

An staatlichen Ausgaben für die Bewältigung heute bereits absehbarer Krisen sowie für die soziale und ökologische Instandhaltung unseres Staates werden wir nicht vorbeikommen.

Rechtzeitige staatliche Investitionen können jedoch Krisen vermeiden oder abmildern und die Folgekosten ungebremster Krisen reduzieren. Zudem sind die Kosten vorausschauender Investitionen fast immer deutlich geringer als die Folgekosten einer ungebremsten Krise. Finanzielle Schulden zu vermeiden und stattdessen gigantische soziale, ökologische und wirtschaftliche Schulden aufzubauen ist nicht zukunftsgerichtetes Handeln, sondern Augenwischerei.

Auch der Deutsche Gewerkschafts-Bund und namhafte Politiker fordern eine Investitionsoffensive und eine Abkehr von der Schuldenbremse. Gerade beim Klimawandel und der ökologischen Katastrophe haben wir heute noch Handlungsoptionen, die nach der drohenden Überschreitung weiterer globaler Kipppunkte nicht mehr verfügbar sind. Das Verschleppen notwendiger Reformen und Investitionen wäre die tatsächliche Bürde, die wir den kommenden Generationen hinterlassen.

Was ist besser: Schuldenvermeidung oder Krisenvorsorge?

In der Corona- sowie in der Energiepreiskrise der letzten Jahre haben wir gesehen, dass der Staat durch die Aufnahme von Staatsschulden riesige Geldmengen zur Verfügung stellen kann, wenn er will: In den Jahren des Corona-Notstands 2019 bis 2022 unterstützte die Regierung Merkel Wirtschaft und Bevölkerung mit 469 Mrd. €. Die Schuldenbremse wurde dazu explizit ausgesetzt. Mit dem 200 Mrd. € großen „Doppel-Wumms“ reagierte die Regierung Scholz auf die Härten der Energiepreiskrise, die durch den russischen Einmarsch in die Ukraine weltweit für steigende Preise sorgte. Beide Krisen konnten durch staatliche Investitionen weitgehend aufgefangen werden.

Das Bundesministerium für Klimaschutz schätzt die Folgekosten des Klimawandels in Deutschland allein bis 2050 auf je nach Fortschreiten der Klimaveränderungen 280 bis 900 Mrd. €. Nicht mit eingerechnet sind zahlreiche gesundheitliche Beeinträchtigungen, Todesfälle durch Hitze und Überflutungen, die Belastung von Ökosystemen, der Verlust von Artenvielfalt und eine schlechtere Lebensqualität, die ihrerseits massive Folgekosten erzeugen.

Sind höhere Staatsschulden wirklich so problematisch, wie die Verfechter der Schuldenbremse behaupten?

Der Blick in die Geschichte zeigt, dass Staatsschulden nicht beglichen, sondern mit in die Zukunft genommen werden. Durch die staatlichen Investitionen wächst die Wirtschaftsleistung, so dass die Staatsschuldenquote im Verhältnis gleichbleiben oder sinken kann – ganz ohne Rückzahlung. Genauso wenig wie vorherige Generationen müssen unsere Kinder die Staatsschuld zurückzahlen.

Japan ist weltweit einer der Staaten mit der höchsten Staatsverschuldung weltweit (250 Prozent statt den erlaubten 60 Prozent in der Eurozone). Dennoch hatte Japan jahrzehntelang eine sehr niedrige Inflationsrate, selbst in den Krisenjahren 2020 bis 2023, als externe Schocks das Preisniveau steigen ließen. Dies belegt, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen der Höhe der Staatsverschuldung und dem komplexen Phänomen der Inflation gibt.

Paul Krugman, Nobelpreisträger und einer der angesehensten Ökonomen weltweit, hat zum Thema eine eindeutige Meinung: „Die Schwarze Null ist nicht mal für Deutschland gut. Sie … verhindert Investitionen in die Zukunft. … Und wie sollen wir das bezahlen? Die Antwort lautet: gar nicht. Es ist in Ordnung, Schulden aufzunehmen, wenn es der Gesellschaft in der Zukunft große Gewinne bringt.“.

Genau diese staatliche Handlungsfähigkeit sollte in Zukunft stärker vorausschauend statt wie bisher nur reaktiv genutzt werden.

Die Voraussetzung hierzu ist, dass sich der Bundestag nicht selbst durch Gesetze massiv einschränkt. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse und die Verschuldungsgrenzen in den Euro-Verträgen stellen solche künstlichen, selbst auferlegten und starren Begrenzungen dar. Die Reformierung dieser Regelungen – zu denen das Grundgesetz nicht notwendigerweise geändert werden müsste – könnte die Wirtschaft auch europaweit beleben, wovon Deutschland als Exportland besonders profitieren würde. Eine solche Revitalisierung könnte auch zur politischen Stabilisierung der Eurozone beitragen und dem gefährlichen transnationalen Rechtsruck entgegenwirken.

Wir fordern daher einen differenzierteren Blick und einen öffentlichen Diskurs zum Thema Zukunftsinvestitionen und Schuldenbremse. Denn im Hinblick auf aktuelle und kommende Krisen brauchen wir so viel politische Handlungsfähigkeit wie möglich, um unsere Demokratien solidarisch, nachhaltig, lebenswert und zukunftssicher zu machen.

Konkret fordern wir, dass

– der Bundestag für das Jahr 2024 einen Bürgerrat zum Thema Zukunftsfinanzierung beauftragt. Es geht darum, in einem Bürgergutachten die Sichtweise gut informierter Bürger zum Thema zu erarbeiten und daraus nachfolgend ein gemeinschaftlich getragenes Zielbild zu entwickeln.

nachfolgend zum Bürgerrat Multistakeholder-Dialoge stattfinden, in denen konkrete und umsetzbare Lösungen zum Thema Zukunftsinvestitionen erarbeitet werden. Die Beratungsprotokolle dieser Dialoge müssen zeitnah und kostenlos öffentlich zur Verfügung gestellt werden.

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